Aufsichtspflichtverletzung und ihre Folgen

„Mit einem Bein im Knast“ – diese Aussage wird oft gemacht, wenn es um das korrekte FĂŒhren der Aufsicht in der Schule geht. Lehrer und Schulleiter sind eigentlich gut abgesichert, jedoch hĂ€ufig verunsichert, wie die Folgen einer Aufsichtspflichtverletzung tatsĂ€chlich aussehen könnten.

Praxisbeispiel: In der Pestalozzi-Grundschule sind wieder einmal einige LehrkrĂ€fte krank. Dies fĂŒhrt dazu, dass die gewissenhafte Konrektorin Mechthild Mertens mit der Beaufsichtigung von 2 Klassen gleichzeitig betraut ist. Sie unterrichtet in der 4 a Deutsch und hat der 4 b ArbeitsblĂ€tter zur stillen Freiarbeit gegeben. Die KlassentĂŒren sind geöffnet.

In der 4 b sitzt der hyperaktive Peter, dem stilles Arbeiten schwerfÀllt und der auch sonst sehr auffÀllig ist. Sie hört die Unruhe, denkt sich jedoch nichts dabei. Als die Klassensprecherin Anne kommt und Mechthild Mertens holen will, weil Peter am Fenster herumklettert, vertröstet sie Anne, sie werde gleich kommen, vergisst dies aber.

Lautes Geschrei lĂ€sst sie wenig spĂ€ter ahnen, was passiert ist. Peter ist aus dem Fenster im ersten Stock gefallen und hat sich einen Lendenwirbel angebrochen. Die Eltern verlangen von Mechthild Mertens Schadenersatz und Schmerzensgeld fĂŒr ihr Kind.

Rechtlicher Hintergrund

Die SchĂŒler sind grundsĂ€tzlich gegen UnfallschĂ€den durch die Gesetzliche Unfallversicherung (GUV) abgesichert. Diese umfasst PersonenschĂ€den und SachschĂ€den, nicht jedoch Schmerzensgeldzahlungen. In jedem Fall untersucht die GUV den Unfallhergang anhand der Unfallschilderung und entscheidet, ob sie allein fĂŒr den Schaden aufkommt oder ob sie einen Dritten, z.B. eine Lehrkraft, persönlich haftbar machen kann.

Was bedeutet grob fahrlÀssige Aufsichtspflichtverletzung?

Hat die Lehrkraft alles getan, um ihrer Aufsichtspflicht zu genĂŒgen, ist sie auf der sicheren Seite. FĂŒr das allgemeine Risiko, dass sich ein SchĂŒler beim Spielen in der Pause oder beim Sport verletzen kann, sind Sie nicht persönlich verantwortlich. Eine nachweislich grob fahrlĂ€ssige Aufsichtspflichtverletzung kann hingegen bedeuten, dass die Lehrkraft allein fĂŒr den gesamten Schaden aufkommen muss. Im Beispiel hĂ€tte die Lehrkraft die Information der Klassensprecherin ernst nehmen mĂŒssen. Ein Vertrösten in einer nicht abzuschĂ€tzenden Situation mit dem deutlichen Hinweis, dass jemand im ersten Stock unbeaufsichtigt am Fenster klettert, stellt eine grob fahrlĂ€ssige Nichtbeachtung der gegebenen Warnung dar. Die Lehrkraft hat die Aufsichtspflicht in grobem Maße verletzt.

Folge: Sie muss umfassend aufkommen fĂŒr..

  • Heilbehandlungskosten
  • Medikamente
  • Folgekosten (z.B. Transport zu den Untersuchungen oder unfallbedingte Kuraufenthalte)
  • SachschĂ€den (z.B. zerstörtes Handy, Armbanduhr)
  • Schmerzensgeld

Das ist zu tun

Bedenken Sie immer die aufgezeigten Rechtsfolgen wie die mögliche persönliche Haftung ohne jeglichen Versicherungsschutz und beachten Sie nachfolgend aufgefĂŒhrte Aspekte.

Lassen Sie keine Klasse unbeaufsichtigt

Leichter gesagt als getan – dennoch: Die Anforderungen an die Aufsicht, insbesondere bei jĂŒngeren Kindern wie im Beispielsfall, sind hoch. Eine Parallelbetreuung von 2 Klassen in 2 RĂ€umen kann und darf nur erfolgen, wenn Sie davon ausgehen können, dass die Klasse ohne Lehrkraft den Anweisungen der Lehrer folgen wird. Klassen mit bekanntermaßen auffĂ€lligen Kindern dĂŒrfen Ihre LehrkrĂ€fte nicht aus den Augen lassen. Im Beispiel hĂ€tte die Lehrkraft eher ihren regulĂ€ren Unterricht zugunsten einer stillen selbststĂ€ndigen Arbeit der Klasse 4 a aufgeben mĂŒssen, um in der auffĂ€lligeren Klasse 4 b anwesend sein zu können. Die Information durch die Klassensprecherin hĂ€tte von der Lehrkraft ernst genommen werden mĂŒssen. Das Vertrösten der Klassensprecherin, die klar und deutlich darĂŒber informierte, dass ein SchĂŒler im ersten Stock unbeaufsichtigt am Fenster klettert, stellt eine grob fahrlĂ€ssige Nichtbeachtung der gegebenen Warnung dar. Nicht erforderlich ist, dass diese Warnung bewusst und gewollt, also vorsĂ€tzlich, nicht beachtet wurde. Es reicht aus, dass die anzuwendende Sorgfalt beim FĂŒhren der Aufsicht in grobem Maße außer Acht gelassen wurde.

Zum Begriff der groben FahrlÀssigkeit

Grob fahrlĂ€ssig handelt, wer eine wichtige Vorsichtspflicht verletzt, deren Beachtung sich jedem verstĂ€ndigen Menschen in der gleichen Lage aufdrĂ€ngt. Wird durch grobe FahrlĂ€ssigkeit ein Schaden herbeigefĂŒhrt, so kann ein bestehender Versicherungsschutz entfallen oder die Versicherungsleistung zumindest reduziert werden. 

Praxistipp:  

In einer solchen Situation sind auch Sie als Schulleiter gefordert. Sie haben sicherzustellen, dass sĂ€mtliche Klassen versorgt und beaufsichtigt sind. Wenn Sie selbst gerade keinen Unterricht haben, gehen Sie als Schulleiter in die Klassen, um Aufsicht zu fĂŒhren.

Über die Folgen einer Aufsichtspflichtverletzung aufklĂ€ren

Grobe FahrlĂ€ssigkeit, die, wie im Beispiel, auch nachgewiesen werden kann, hat immer die persönliche Haftung der betroffenen Lehrkraft zur Folge. Dies ist in der Praxis zum GlĂŒck nur in AusnahmefĂ€llen so. Machen Sie dennoch Ihren Kollegen deutlich, womit sie im Zweifel tatsĂ€chlich rechnen mĂŒssen. Rechtsfolge einer persönlichen Haftung bedeutet, dass die Lehrkraft fĂŒr jeden Schaden, also materiellen Schaden, aber auch fĂŒr den immateriellen Schaden wie Schmerzensgeld, aufzukommen hat. 

Wichtiger Hinweis:

Auch wenn die Krankenkassen und die GUV zunĂ€chst gegenĂŒber dem GeschĂ€digten die anfallenden Kosten tragen, dĂŒrfen Sie sich davon nicht tĂ€uschen lassen. Regress bedeutet nichts anderes, als dass nach den Vorschriften der Unfallversicherung der Ersatzanspruch des GeschĂ€digten per Gesetz auf die Krankenkasse und die GUV ĂŒbergeht. Diese werden auf diese Weise per Gesetz Inhaber der Schadenersatzforderungen (§ 116 Sozialgesetzbuch [SGB] X). Auch die Rechtsprechung hat dies bestĂ€tigt (Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 28.03.1995, Aktenzeichen: VI ZR 24/94).

Im Klartext: Die Versicherung zahlt zwar erst an den GeschĂ€digten, aber die Lehrkraft muss diese Kosten der Versicherung spĂ€ter zurĂŒckzahlen.

Ausschluss der Haftung bei grober FahrlÀssigkeit beachten

Wer meint, ihm könne bei einer Aufsichtspflichtverletzung nichts passieren, weil er ja seit Jahren eine private Haftpflichtversicherung hat, liegt falsch. Die Allgemeinen GeschĂ€ftsbedingungen der Versicherungen schließen eine Schadensregulierung aus, wenn der Schaden auf Vorsatz oder grobe FahrlĂ€ssigkeit zurĂŒckzufĂŒhren ist. Sie treten in diesen FĂ€llen nicht fĂŒr den SchĂ€diger, also hier fĂŒr die betroffene Lehrkraft Mechthild Mertens, ein. Bei Vorsatz ist die Übernahme des Schadens gemĂ€ĂŸ §152 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) gesetzlich ausgeschlossen. Auch die Amtshaftpflichtversicherung ĂŒbernimmt als spezielle Berufshaftpflichtversicherung z.B. fĂŒr verbeamtete Lehrer nicht alles. Versichert ist nur die BeschĂ€digung von Staatseigentum durch den Amtsinhaber. Eingeschlossen sind in der Amtshaftpflichtversicherung öffentlich-rechtliche ErsatzansprĂŒche des Dienstherrn, also des jeweiligen Bundeslandes. Gesetzliche HaftpflichtansprĂŒche privatrechtlichen Inhalts, die sich nach den GrundsĂ€tzen der Amtshaftung gegen den Dienstherrn richten, werden zwar gegenĂŒber dem GeschĂ€digten ĂŒbernommen. Bei Vorsatz oder grober FahrlĂ€ssigkeit kommt auch hier ein Regress gegenĂŒber der Lehrkraft in Betracht. Die persönlichen Haftung kann einen 5-stelligen Betrag erreichen. Die Lehrkraft muss im Extremfall allein den Schaden tragen. Dies kann je nach Schwere der Verletzung und Alter des SchĂŒlers leicht einen 5-stelligen Betrag erreichen. Die Rechtsprechung zeigt eine Tendenz, ein umso höheres Schmerzensgeld zuzusprechen, je jĂŒnger der GeschĂ€digte und je grĂ¶ĂŸer das Ausmaß der erlittenen Verletzungen ist.

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